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Beschlüsse des Parteivorstandes

Wahlperiode 2014-2016

Ja zum Referendum in Griechenland, Nein zur Austeritätspolitik. Ja zu einem demokratischen und sozialen Europa

Beschluss des Parteivorstandes vom 4. Juli 2015

 

An diesem Wochenende entscheidet die griechische Bevölkerung über das Auflagenpaket der europäischen Institutionen, an das weitere Kredite und „Hilfspakete“ an Griechenland gebunden werden sollen.

Dieses Angebot ist im Kern eine Fortsetzung der bisherigen Austeritätspolitik. Die Folgen dieser Politik sind bekannt: in den letzten Jahren ist die Wirtschaftsleistung von Griechenland um über 25 Prozent gesunken, die Schuldenlast hat sich verdoppelt, die Investitionsrate ist um über die Hälfte gesunken, die Mindesteinkommen der Bevölkerung liegt heute ein Viertel unter denen von 1984. Die Arbeitslosigkeit ist auf 28 Prozent gestiegen, das mittlere Einkommen um 40 Prozent gesunken, die Renten wurden um 44 Prozent gekürzt und liegen für fast die Hälfte der Rentnerinnen und Rentner unterhalb der Armutsgrenze. Diese Austeritätspolitik ist gescheitert.

Wir unterstützen das „Nein“ im griechischen Referendum. Es wäre ein wichtiges Signal für den Kampf gegen Austerität in Griechenland und in ganz Europa.

Bereits ab kommenden Montag wird unabhängig vom Ausgang des Referendums die Politik der Europäischen Zentralbank über die Zahlungsfähigkeit der griechischen Banken entscheiden. Wir fordern die EZB auf, dass sie die Notkredite an die griechischen Banken aufrechterhält. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Griechenland aus der Eurozone gedrängt wird. Und zwar nicht weil die Griechinnen und Griechen oder die Syriza-Regierung das wollten, sondern weil es von der EZB vollzogen wird.

Die Regierung unter Ministerpräsident Tsipras ist zur Wahl angetreten, um diese Politik zu verändern. Dafür ist sie gewählt worden. Die griechische Regierung zeigte sich in den Verhandlungen mit den Institutionen kompromissbereit, sie ging bis an die Grenzen ihres Regierungsauftrages, manche kritisierten, sie hätte ihn bereits überschritten.

Nachdem die Institutionen sich gegenüber den Vorschlägen der griechischen Regierungen zu keinen Zugeständnissen bereit erklärten und ihren "final offer", den abschließenden Vorschlag vorlegten, kündigte die griechische Regierung ein Referendum an. Es kann keine Rede davon sein, dass die griechische Regierung "mitten in den Verhandlungen gegangen" sei, wie von Juncker und anderen behauptet wird.

In einer Demokratie sollte es ein normaler Vorgang sein, dass wenn die Regierung ihre angekündigten Ziele nicht erreicht und ihre Entscheidungen tiefe Einschnitte im Leben der Mehrheit der Bevölkerung haben wird ( wie etwa die Anhebung des Rentenalters, Kürzung von Renten und Gehältern), der Souverän – die Bevölkerung – gefragt wird. So funktioniert Demokratie. Die deutsche Regierung und die europäischen Institutionen vermitteln den Eindruck, dass es nichts zu entscheiden gebe, dass alles außer Zustimmung verantwortungslos und unprofessionell sei. Aus der CDU und aus den Institutionen wird seit geraumer Zeit auf einen Regierungs-Wechsel in Griechenland hingearbeitet: "Kein Bailout, solange Tsipras im Amt ist" zitierte die Times einen "hohen CDU-Politiker".

Sie offenbaren erneut das massive Demokratiedefizit der europäischen Union und ihrer neoliberalen Doktrin: "There is no alternative".

Bereits 2011 wurde ein geplantes Referendum in Griechenland zur "Bedrohung Europas" stilisiert. Frank Schirrmacher schrieb damals in der FAZ, wir erlebten einen "Kurssturz des Republikanischen". Nun stehen die Europäischen Institutionen, die EU und Griechenland wieder an diesem Punkt. Neu ist: wir wissen nun, welchen Schaden die Politik der letzten fünf Jahre ausgelöst hat. Aber die Vorgehensweisen sind gleich geblieben.

Seit der Ankündigung des Referendums versuchen die Institutionen und die deutsche Regierung auf Bevölkerung in  Griechenland Einfluss zu nehmen. Verhandlungsangebote der griechischen Regierung werden nicht mehr beantwortet. An das Referendum werden Bedingungen geknüpft und Drohszenarien aufgebaut: Notkredite und Liquidität der griechischen Banken, Verbleib im Euro, Verbleib in der Europäischen Union werden in Frage gestellt. Dabei geht es im Referendum weder um den Euro noch die Europäische Union – und niemand kann aus dem Euro oder der Europäischen Union herausgeworfen werden. Das ist rechtlich unmöglich und es ist fahrlässig, einen anderen Eindruck zu vermitteln. Es spekuliert darauf, dass die Mehrheit der Griechen beides nicht will und erzeugt fälschlicher Weise den Eindruck, dass die griechische Regierung darauf Kurs nehme. So soll Einfluss auf das Referendum genommen werden.

Tatsächlich ist es anders herum: Mit dem unerbittlichen Festhalten an der Austeritätspolitik – ungeachtet ihrer desaströsen Folgen – gefährden die „Institutionen“ und die deutsche Regierung den Zusammenhalt des Euros und der Europäischen Union. Der Schaden, der von einem unkontrollierten Bankrott Griechenlands ausgehen würde, würde gerade die Europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler treffen.

Fahrlässig nimmt Schäuble das in Kauf, wenn er ideologisch hartleibig an seinem Kurs festhält und dabei offensichtlich von Angela Merkel unterstützt wird.
Nicht die Banken wären in Gefahr – die haben ihre Schulden in den letzten Jahren erfolgreich und mit tatkräftiger Unterstützung der Troika auf die öffentlichen Haushalte übertragen. An sie ist der übergroße Anteil der "griechischen Hilfspakete" gegangen.

Eine solche Belastung der europäischen Bevölkerungen wird rechte und antieuropäische Politik stärken und birgt die Gefahr, dass das Projekt eines friedlichen und geeinten Europas zerbricht.
In dieser historischen Situation tritt die SPD, besonders Vize-Kanzlers Sigmar Gabriel und Präsident des europäischen Parlamentes, Martin Schulz, als Scharfmacher gegen die griechische Regierung auf. Es scheint, als wäre sie besonders provoziert von einer linken Regierung, die ihre Wahlversprechen nicht leichtfertig über Bord wirft. Jenseits von demokratischen oder nur allgemein höflichen Umgangsformen – und unbesehen der ungleich höheren wissenschaftlichen Qualifikationen der griechischen Minister – bezeichnen sie die  gewählten griechischen Vertreter als unprofessionell, als „Spaßhansel“, die nicht ernst zu nehmen sind. Tsipras wird als Manipulator mit „fast demagogischen Zügen“ diffamiert. Sie versuchen intensiv auf die inneren Belange von Griechenland Einfluss zu nehmen. Sie beteiligen sich an der Desinformation der europäischen Bevölkerung. Denn es ist nicht richtig, dass die griechische Regierung „Hilfe ohne Gegenleistung“ erwartet, wie von Gabriel behauptet. Die griechische Regierung hatte eine lange Liste eigener Vorschläge zur Haushaltskonsolidierung vorgelegt und eine Reihe der Forderungen der Institutionen übernommen. Es ist nicht richtig, dass das Angebot der Institutionen ein Investitionsprogramm von 35 Milliarden beinhaltete. Es ist nicht richtig, dass die Institutionen auf Forderungen nach weiteren Kürzungen von Renten und Gehältern verzichtet hätten. Es ist nicht richtig, dass das Referendum über den Verbleib von Griechenland in der Europäischen Union oder im Euro entscheiden würde.

Die SPD zeigt eindrücklich, dass sie für einen anderen Weg für Europa, eine Alternative zur Austeritätspolitik nicht zur Verfügung steht. Sie stellt sich gegen die Souveränität der griechischen Bevölkerung und verschweigt die Folgen einer weiteren Zuspitzung der Griechenlandkrise für die deutsche Bevölkerung: Das Maßnahmenpaket der europäischen Institutionen senkt die Renten und Sozialausgaben weiter, es versperrt sich einer einmaligen Abgabe von Gewinnen über einer halben Million Euro, es verweigert die Wiedereinsetzung von gewerkschaftlichen Rechten und Tarifautonomie, es erhöht das Renteneintrittsalter und kürzt die Heizölzuschüsse für Menschen in Armut. Keine Regierung sollte ein solches „Angebot“ annehmen, ohne ihre Bevölkerung zu fragen.

Wir sagen: für Europa und für die Demokratie ist es überlebenswichtig, dass zentrale Fragen wieder in den Mittelpunkt der kollektiven, demokratischen Entscheidungen gestellt werden. Nirgendwo in der Europäischen Union hat die Bevölkerung über Austeritätspolitik abstimmen können, nicht in Irland, Portugal, Spanien und bisher auch nicht in Griechenland. Wir treten dafür ein, dass die Bevölkerungen in allen europäischen Ländern das Recht haben, über diese Fragen zu entscheiden und die Voraussetzungen für europaweite Volksabstimmungen geschaffen werden.

Dort könnten die zentralen Punkte von Austeritätspolitik zur Abstimmung stehen, zum Beispiel: Sollen Schuldentilgungen auf Kosten der Sozialleistungen gehen oder sollen die Einnahmen über höhere Steuern für Millionäre und hohe Vermögen und Unternehmensgewinne gesteigert werden?  Sollen Schulden der Banken durch die Steuergelder der europäischen Bevölkerung gesichert werden oder haften die Vorstände, Manager und Großanleger – wie z.B. in Island.

Nicht, dass die griechische Regierung die weit reichende Kürzungspolitik der europäischen Institutionen der eigenen Bevölkerung zur Entscheidung vorlegt, ist ein Skandal. Sondern dass diese demokratische Entscheidung nicht in ganz Europa möglich ist.

Die Bevölkerungen Europas sollten entscheiden, ob sie ein soziales und demokratisches Europa oder ein Europa der Austerität wollen.

 

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