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Beschlüsse des Parteivorstandes

Wahlperiode 2014-2016

Zeit zu handeln! Warum wir keine Flüchtlingskrise, sondern eine Krise der sozialen Gerechtigkeit haben.

Beschluss des Parteivorstandes vom 26. September 2015

In diesem Jahr sind mehr Menschen auf der Flucht und der Suche nach Asyl als nach dem Zweiten Weltkrieg. Kriege, weltwirtschaftliche Ungerechtigkeiten, der Klimawandel, rassistische Verfolgung und Diskriminierung sowie keine Perspektive auf ein menschenwürdiges Leben sind die Gründe dafür. Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge sind unter 18 Jahren. Die meisten fliehen in die jeweils angrenzenden Länder wie die Türkei, Pakistan, Libanon, Iran, Jordanien und finden dort eine Zuflucht. Ein weitaus geringerer Teil flieht auf den lebensgefährlichen Routen über das Mittelmeer oder den Balkan weiter nach Europa und versucht in der Europäischen Union, das jeder und jedem zustehende Grundrecht auf Asyl in Anspruch zu nehmen. Eine verantwortungsvolle Politik auf der Höhe unserer globalisierten Weltgesellschaft kann die Last der Versorgung der Flüchtlinge nicht den oft selbst krisengeschüttelten Ländern zuschieben. Ein Ende von Not und Elend und somit der Fluchtbewegungen ist nicht abzusehen. Inwieweit die Anzahl der Geflüchteten zurückgeht, hängt daher wesentlich davon ab, inwieweit die Ursachen der Flucht beseitigt werden. Tausende beteiligen sich in Deutschland an Hilfsaktionen und heißen die Flüchtlinge willkommen. Es ist beschämend, dass die Bundesregierung dies konterkariert, indem sie Grenzkontrollen wieder eingeführt hat und das Asylrecht verschärfen will.

Wir leben alle in derselben Welt. Viele Menschen, die jetzt ihre Kraft einsetzen, um den Flüchtenden zu helfen, haben das verstanden. Die Menschen ertrinken zu lassen ist keine Alternative. Die Grenzen und die Augen zu verschließen ist keine Alternative. Wir müssen uns klar machen: Was anderen Menschen zugemutet wird, könnte uns bald auch selbst zugemutet werden. Das gilt für die Armutsrenten in Griechenland so sehr wie für die Absenkung von Mindestlohn und Sozialhilfe oder die Unterbringung von Menschen ohne Wohnung in Sammelunterkünften und Turnhallen – oder gleich ganz ohne Versorgung. Wir sollten nicht in Kauf nehmen, dass Demokratie und Menschlichkeit irreparable Schäden erleiden. In einer Festung Europa, geschweige denn einer, die sich im Kriegszustand gegen geflüchtete Menschen befindet, kann sich keine Demokratie entwickeln.

Wer wie Finanzminister Schäuble die Überlebensinteressen von Geflüchteten in Konkurrenz setzt mit den Lebensinteressen der Bevölkerung, vor allem der Not leidenden, spielt daher bewusst mit dem Feuer. Dabei hat Deutschland kein Ausgaben-, sondern ein Einnahmenproblem. Zwar gibt es selbst in diesem reichen Land längst eine finanzielle Austrocknung der öffentlichen Infrastruktur. Aber nicht weil – wie Rechtspopulisten aller Couleur zu suggerieren versuchen – zu wenig Geld oder Wohnraum da wäre, sondern weil der Reichtum ungerecht verteilt ist. Mit der Ideologie der Schwarzen Null sind die gesellschaftlichen Herausforderungen im Europa des 21. Jahrhunderts nicht zu bewältigen. Stattdessen braucht es eine gerechte Besteuerung, um die Superreichen und Profiteure dieser Wirtschaftsordnung und ihrer globalen Krisen endlich an den Kosten für die notwendigen sozialen Investitionen – nicht nur für Flüchtlinge – zu beteiligen.

 

1. Mehr als eine Floskel: Fluchtursachen weltweit bekämpfen!

Die meisten Flüchtlinge kommen aus Syrien, Afghanistan, Irak und etlichen afrikanischen Ländern sowie dem Balkan. Die Liste dieser Länder ist eine Liste ehemaliger Kolonialländer bzw. von Ländern, die in Kämpfen um geostrategischen Einfluss, Rohstoffe und Zugänge in verheerende Kriege gestürzt wurden. Grenzen wurden von den imperialen Mächten beliebig gezogen. Lokale Machthaber und religiöse Bewegungen wurden über Jahrhunderte hinweg für die geostrategischen Interessen instrumentalisiert, gegeneinander ausgespielt. Aktuell verbünden sich imperiale Akteure mit regionalen paramilitärischen Gruppen, eignen sich transnationale Unternehmen Land an (landgrabbing), spekulieren mit Lebensmitteln und vertreiben die Bevölkerungen. 

Immer noch fließt mehr Kapital von Süd nach Nord als von Nord nach Süd – aller Entwicklungs-»Hilfe« zum Trotz. Der Slogan der Refugee-Bewegung „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört“ benennt die Verantwortung der westlichen Staaten. 

Die deutsche Politik ist Teil des Problems. Deutschland hat sich aktiv an den Kriegen in Jugoslawien sowie in Afghanistan beteiligt und indirekt am US-Krieg im Irak 2003.  Deutschland ist drittgrößter Waffenexporteur der Welt. Im Jahr 2014 erteilte die Bundesregierung Ausfuhrgenehmigungen für Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter im Gesamtwert von 6,5 Milliarden Euro. Damit werden auch die Kriege im Nahen und mittleren Osten angeheizt. Deutsche Firmen lieferten an Saudi-Arabien und die Türkei. Auch an Syrien haben deutsche Firmen zwischen 1998 und 2011  350 Tonnen an chemischen Substanzen, aus denen Giftgas hergestellt werden kann, sogenannte Dual-Use-Substanzen, geliefert. Saudi-Arabien führt derzeit einen völkerrechtswidrigen Krieg im Jemen, der zu einer humanitären Katastrophe und neuen Fluchtbewegungen führen wird.

Deutschland ist die treibende Kraft einer EU-Liberalisierungspolitik, unter der vor allem die Ärmsten der Armen leiden. Diese neoliberale Politik des Freihandels für die Interessen der Konzerne setzt die Bundesregierung mit den Abkommen TTIP und Ceta fort. Eine Freihandelszone zwischen der EU und den USA erhöht den Druck auf Schwellen- und Entwicklungsländer, ihre Märkte vollends zu öffnen. Lebenswichtige Güter (Wasser, Energie, Nahrungsmittel) werden teurer und die Versorgung der Bevölkerung unsicherer.  Diejenigen, die hier dafür sorgen, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, sind die Gleichen, die überall auf der Welt immer unerträglichere Lebensbedingungen der Mehrheit mit zu verantworten haben und täglich mehr Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen.

  • Wir brauchen endlich eine Entmilitarisierung und rechtsstaatliche Kontrolle unseres Außenhandels: Waffenexporte müssen verboten werden. Zudem braucht es ein wirksames Unternehmensstrafrecht, das Praktiken wie landgrabbing und Lebensmittelspekulation verbietet und Verstöße entsprechend ahndet. 
  • In der Entwicklungszusammenarbeit geht es nicht nur um „mehr“, sondern um anders: Nicht Einbindung in neoliberalen Freihandel, eigene Außenwirtschaftsförderung und zivilmilitärische Zusammenarbeit, sondern die Unterstützung von Selbstvertreterorganisationen muss das Ziel sein. Dafür braucht es Zivilklausel in den Gesellschafterverträge der deutschen Durchführungsorganisationen und einen Kompensationsfonds der Vereinten Nationen, damit Finanztransfers nicht mehr als Druckmittel eingesetzt werden können. Entwicklungsfinanzierung und Außenwirtschaftsförderung müssen auch organisatorisch klar getrennt werden.
  • Es braucht eine Demokratisierung des Welthandels: Alle Handelsabkommen der EU müssen einen fortlaufenden menschenrechtlichen Prüfmechanismus enthalten, der die sozialen Auswirkungen des Abkommens, etwa auf die Ernährungs- und Gesundheitssituation in den Partnerländern, untersucht und gegebenenfalls Anpassungen ermöglicht. Forderungen, die Märkte und Arbeitsmärkte zu liberalisieren, sind nicht zulässig.  
  • Die deutsche Außenpolitik muss sich von Auslandseinsätzen verabschieden und die polizeiliche und geheimdienstliche Kooperation mit Diktaturen beenden. Die Maxime muss ein Politikwechsel hin zu einer nachhaltigen und auf Entwicklung und Frieden orientierten Außenpolitik sein: Keine Kriege für Rohstoffe und Einflusszonen.

 

2. Das Grundrecht auf Asyl sichern!

Das Recht auf Asyl steht nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, Art. 14 (1), oder der Grundrechtecharta der EU von 2010, Art. 18, jeder und jedem zu. Die Europäische Menschenrechtskonvention schützt alle Menschen auf europäischem Boden: Beschränkende Quoten kennen diese Menschenrechtsregelungen nicht. Allerdings haben die für die Einhaltung dieser grundlegenden Menschenrechte international zuständigen Instanzen, wie etwa das Flüchtlingshilfswerk UNHCR, keinerlei politischen Mittel, diese durchzusetzen. Auch diejenigen, die darauf angewiesen sind, haben meist nur ein formales Recht auf Asyl, da die Umsetzung der völkerrechtlich verbindenden Regelungen der nationalen Gesetzgebung unterliegt. 

Der aktuelle Entwurf der Bundesregierung sieht vor, das Recht auf Asyl noch weiter einzuschränken und die aus dem Asylrecht und der Genfer Flüchtlingskonvention abgeleiteten Ansprüche auf Unterbringung und Versorgung für Flüchtlinge, die unter das Dublin II-Abkommen fallen würden, auszusetzen. Sie gehen in Obdachlosigkeit und Hunger – oder die Bundesregierung setzt auf die Mildtätigkeit von Privatpersonen. Wir sehen darin eine unterlassene Hilfeleistung der Zuständigen und einen klaren Verstoß gegen die Menschenwürde. Das Verfassungsgericht hat bereits 2012 festgestellt: Die Menschenwürde darf migrationspolitisch nicht relativiert, das Existenzminimum muss garantiert werden. Die Bundesregierung kehrt das Prinzip um: keine Arbeit, keine Bewegungsfreiheit, keine höhere Bildung, Studium, Ausbildung. Unangekündigten Abschiebungen würden die Möglichkeiten von Kirchenasyl und der Mobilisierungen von Freunden und Umfeld gegen Abschiebungen schachmatt setzen. Dazu kommt eine längere Unterbringungsdauer in Lagern (bei der Erstaufnahme bis zu 6 Monaten). Das ist grundgesetzwidrig. 

Ähnliches gilt für die Diskussion über ein Einwanderungsgesetz: Die Diskussion über Asyl, Versorgung von Kriegsflüchtlingen und Einwanderung wird meist vermischt. Sachlich haben sie nichts miteinander zu tun: Ein Einwanderungsgesetz hat keinen Einfluss auf die Rechtsansprüche von Flüchtlingen oder Asylbewerbern. Schon vor der Debatte wird somit die entscheidende Grundlage in Frage gestellt: gleiche Rechte und verbesserte gesellschaftliche Teilhabe für alle hier lebenden Menschen. Krieg und Verfolgung in der Welt halten sich nicht an deutsche Quoten und angesichts dieser Wirtschaftsordnung sind auch vermeintliche Wirtschaftsflüchtlinge politische Flüchtlinge. Auch die Definition von „sicheren Herkunftsländern“ kann sich nicht daran bemessen, wie weit die Zahl der Flüchtlinge reduziert werden soll. 

  • Flucht sowie Migration sind kein Schnäppchenmarkt für Arbeitgeber, die beispielsweise die Bildungs- oder Lohnkosten einsparen wollen oder den Mindestlohn für Flüchtlinge abzusenken. Überdeutlich wird hier auf den „syrischen Ingenieur“ geschaut, dessen Bildung bereits ausfinanziert ist.  Die Vorschläge eines „Punktesystems“ orientieren sich ebenfalls vor allem an Arbeitsmarkt- und Arbeitgeberinteressen. Daraus kann keine demokratische Einwanderungspolitik werden. 
  • Wir lehnen alle Pläne der Bundesregierung zur Verschärfung des Asylrechts ab. Das Grundrecht auf Asyl muss uneingeschränkt gelten und wiederhergestellt werden.
  • Für eine Ent-Bürokratisierung des Asylverfahrens und um den „Rückstau“ in den damit befassten Behörden zu bearbeiten, wollen wir eine Altfallregelung, die allen seit über einem Jahr im Asylverfahren befindlichen Asylbewerbern einen Aufenthaltstitel gewährt.
  • Menschen aus Kriegsregionen müssen schnell und ohne aufwändiges Asylverfahren ein Aufenthaltsrecht bekommen. Ein individueller Nachweis der Gefahr für Leib und Leben gegenüber den Behörden ist nicht nötig, sondern es erfolgt eine pauschale Anerkennung als Kriegsflüchtling. Nach der Erstaufnahme durch das BAMF bekommen Kriegsflüchtlinge von Anfang an alle Rechte wie den vollen und uneingeschränkten Zugang zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt, zu Bildung von der Kita bis zur Hochschule und zu staatlichen Sozialleistungen. Sondergesetze wie das Asylbewerberleistungsgesetz werden abgeschafft.
    Das Grundrecht auf Asyl muss wieder einen dauerhaften Aufenthaltstitel sichern. Gruppenbezogene Verfolgung, zum Beispiel von Sinti und Roma, ist hier ausdrücklich mit einzubeziehen. 
  • Die Regierungskoalition versucht mit Grundrechten zu handeln, und die SPD versucht, im Austausch für eine Verschärfung des Asylrechts ein Einwanderungsgesetz durchzusetzen. Das weisen wir zurück. Mit uns ist kein Kuhhandel auf dem Rücken der Menschlichkeit zu machen.
  • Wir sind gegen ein Einwanderungsgesetz, das sich an ökonomischen Nützlichkeitserwägungen orientiert. Wir sind für Einwanderungsmöglichkeiten, die auf dem Grundsatz der Freizügigkeit basieren, den Menschen die Chance auf ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben in Deutschland ermöglichen, die Ansprüche auf soziale, kulturelle und demokratische Teilhabe schaffen und humanitäre Aspekte in den Vordergrund stellen.

 

3. Grenzen auf: Abschottung der Europäischen Union beenden – Freizügigkeit durchsetzen!

Die Außengrenzen der Europäischen Union sind, wie Grenzen sonst überhaupt, keine hermetisch abgeschlossenen Schranken. Sie sind sozial selektiv – immer abhängig davon, wer bzw. was sie überqueren will. Finanzströme fließen weitgehend ungehindert. Deutsche Waffen und PKW's werden diesseits und jenseits der europäischen Grenzen gekauft. Manche überfliegen das Mittelmeer im Flugzeug als Touristen, andere müssen versuchen, es in seeuntüchtigen Booten zu überqueren. Grenzen sind soziale Hürden, vor allem für diejenigen, die über wenige finanzielle Mittel verfügen.

Im Zentrum der Vision einer europäischen Einigung stand das Ziel, Grenzen und die damit verbundenen kriegerischen Auseinandersetzungen zu bannen. Die Menschen sollten sich frei bewegen und begegnen können. Gleichzeit wurde diese Vision von Beginn an konterkariert durch den Umstand, dass die reale Europäische Union die Freizügigkeit der Waren immer höher gestellt hat als die der Menschen. Dabei hat sie sich einer neoliberalen Politik verschrieben, die Ungleichheit innerhalb und außerhalb der EU beförderte, obwohl sie formell das Ziel der „Angleichung der Lebensverhältnisse“ verfolgte. Freihandelspolitik, Strukturanpassung, Bankenrettung und Austerität haben diesem Entwicklungsmodell jedoch den Todesstoß versetzt – sogar  offiziell wird jetzt von einem „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ gesprochen. Ohne gleiche Lebensverhältnisse in Europa wird aber auch jede Forderung nach einer „gerechten Verteilung von Flüchtlingen“ faktisch zur Heuchelei. Die Schließung von Grenzen in der EU ist ein weiteres Symbol dafür, wie es um die europäische Einigung bestellt ist und welchen europapolitischen Scherbenhaufen die Bundesregierung angerichtet hat. Dies muss sofort rückgängig gemacht werden. Freizügigkeit kann nicht davon abhängig gemacht werden, dass sie nicht genutzt wird. Verwaltungsprobleme in der Bundesrepublik dürfen nicht dazu führen, dass Menschen in Lebensgefahr kommen. Sonst ist das nicht unser Europa.

Die Europäische Union setzt bisher auf Abschottung und Abschreckung, statt das Recht auf Asyl genauso sicherzustellen wie das Recht auf unternehmerische Freiheit. Das Grenzregime der Europäischen Union, Dublin II /III und Frontex, sichert menschenrechtswidrige Sonderrechte für die EU auf Kosten der nicht dazugehörigen Staaten. Als Käufer europäischer Produkte sind sie immer willkommen. Ausgeschlossen werden dagegen die Leidtragenden geostrategischer Interessenkämpfe, der Folgen der Kolonialpolitik und des Klimawandels. 

Die  aktuelle Diskussion um so genannte Schlepper ist nichts als ein Abenkungsmanöver. Denn es  sind nicht die Schlepper, die die Menschen dazu zwingen, lebensgefährliche Routen nach Deutschland zu nehmen. Der massenhafte Tod auf den Transitrouten ist das Werk eben jener Großen Koalition der Abschottung Europas, die den Schleppern mit viel Aufwand erst die Geschäftsgrundlage bereitet. Dabei funktioniert das Abschreckungsmodell noch nicht mal. Schließlich kommen die Menschen nicht, weil die Grenzen offen sind, sondern weil ihr Leben in Gefahr ist und sie keine Perspektive mehr sehen.

Zudem wird in der Debatte gerne übersehen, dass offene Grenzen keine Einbahnstraße sind. Untersuchungen zeigen, dass die Rückkehr von eingereisten und geflüchteten Menschen dann wahrscheinlicher ist, wenn das Risiko geringer ist, nicht erneut einreisen zu können. Das ist die humane Alternative zu jeder erzwungenen „Rückführung“.

  • Wir lehnen jede Militarisierung der EU-Außengrenzen und den Einsatz der Bundeswehr zur „Schlepperjagd“ ab. Wir sagen Nein zu EU-Mission EUNAVFOR MED. Die „Schlepperboote“, die aufgebracht werden sollen, sind Flüchtlingsboote. Die Menschen an Bord werden bei der „Jagd“ in Lebensgefahr gebracht. Wir fordern stattdessen ein ziviles Seenotrettungsprogramm, das auch die vielen freiwilligen Helfer zur See entlastet, die auf eigene Initiative Menschen vorm Ertrinken retten. Frontex muss aufgelöst werden.
  • Legale Fluchtwege und gesicherte geordnete Asylverfahren sind der sicherste Weg, Schlepper überflüssig zu machen. Wenn die Menschen statt tausenden Euro für ein undichtes Schlauchboot 300 Euro für ein sicheres Flugticket ausgeben könnten, wäre auch viel materielle Not zu lindern. Dublin II muss abgeschafft werden, und legale Fluchtwege nach Deutschland müssen eingerichtet werden.
  • Die Europapolitik der Bundes muss das Spardiktat beenden und im Rahmen einer Sozialunion langfristig auf die Angleichung der Lebensverhältnisse in Europa und weltweit ausgerichtet werden. Wer eine gleiche Verteilung der Aufgaben will, muss auch alle Länder in die Lage dazu versetzen – anstatt sie kaputtzusparen.

 

4. Gravierendes institutionelles Versagen und mangelnde gesellschaftliche Planung

Die „Flüchtlingskrise“ in Europa und der Bundesrepublik ist das Ergebnis eines inszenierten Notstandes. 2015 werden in Deutschland etwa eine Million Menschen einen Antrag auf Asyl stellen. Konservative und rechtpopulistische Politiker schüren Ängste mit Sprüchen, dass Deutschland nicht alle Flüchtlinge aufnehmen könne und längst überfordert sei – als ob alle Flüchtlinge nach Deutschland wollten oder kämen. Auch wenn die Bundesrepublik nun mehr Flüchtlinge aufnimmt: Im Libanon waren 2 014 ein Viertel der Einwohner Flüchtlinge, in Jordanien fast jeder achte, Schweden und die Türkei hatten pro Kopf etwa zehnmal so viele Flüchtlinge aufgenommen wie Deutschland. Wenn Deutschland eine Million Menschen auf der Flucht aufnehmen und allen Asyl gewähren würde, wären das knapp 2 Prozent der weltweit Flüchtenden und so viele „Ausländer“, wie allein im Jahr 1973 aufgenommen wurden. Und zu den Zahlen gehört auch, dass in den letzten zehn Jahren jährlich etwa 500 000 so genannte Nichtdeutsche unser Land wieder verlassen haben. Auch hat sich die Gesamtzahl der in Deutschland lebenden Geflüchteten in den letzten 17 Jahren reduziert. Ende 2014 lebten insgesamt rund 630 000 Geflüchtete (Anerkannte, Asylsuchende und Geduldete) in Deutschland: Das sind 0,8% der Bevölkerung. 1997 waren es noch über 1 Million. In den letzten Wochen ist die Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge zwar stark gestiegen und liegt nun über den Zahlen von 1993. Allerdings nahm die Bundesrepublik 1990 bis 1994 z.B. zusätzlich zu den Asylbewerbern noch 1,2 Mio Aussiedler_innen auf, nach 1998 gab es einen weiteren Schub. Ihre Integration gilt heute als Erfolgsgeschichte. Auch in früheren Zeiten gab es massenhafte Fluchtbewegungen nach Deutschland oder Österreich, die bewältigt wurden – etwa nach dem zweiten Weltkrieg, bei Schließung der deutsch-deutschen Grenzen oder dem Prager Frühling. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Regierung akzeptiert, dass „wir“ logistisch nicht in der Lage sind, einen Bruchteil der Flüchtlinge zu versorgen und die logistischen Leistung anderer Länder zu erbringen, ist insofern unerträglich. 

Die logistische und finanzielle Überforderung, die Probleme mit der Unterbringung, Wohnungsnot, Personalmangel bei der Bearbeitung der Anträge und Versorgung der Geflüchteten sind hausgemacht und Ausdruck eines politischen Versagens. Seit Jahren stocken die Investitionen, liegt der soziale Wohnungsbau brach, werden Beschäftigte im Öffentlichen Dienst abgebaut. Die Überforderung der Kommunen wird schon lange billigend in Kauf genommen und mit der Steuer- und Finanzpolitik spätestens seit den Steuerreformen 1998 verstärkt. Das Bundeswirtschaftsministerium hat selbst im April dieses Jahres den Investitionsstau bei der Infrastruktur auf 156 Mrd. Euro geschätzt. Notwendige Investitionen in Soziales und Bildung in Höhe von 45 Mrd. wurden versäumt. Die Anzahl der Sozialwohnungen wurde seit 1990 von 4 auf 1,5 Millionen reduziert. Es fehlt an Lehrerinnen und Lehrern und Schulraum, an Inklusion, an Pflege, sozialer Beratung und Qualifikation, an Personal und Fachleuten in den öffentlichen Verwaltungen, an öffentlichen Transportmitteln, an Arbeitsmarktprogrammen, an sozialem Wohnungsbau und an vielem mehr. 

Hier liegen die Gründe für die öffentliche Überforderung. Die Prioriäten müssen anders gesetzt werden. Das ehrenamtliche Engagement vieler darf nicht zum neoliberalen Outsourcing von Staatsaufgaben missbraucht werden. Erfolgreiche Finanzpolitik muss neu definiert werden: Sie muss vom gesellschaftlichen Bedarf ausgehen und die Reichen zur Kasse bitten. Ein ausgeglichener Haushalt, der zentrale Aufgaben nicht erfüllen kann und der elementare Bedürfnisse der Bevölkerung so wenig berücksichtigt wie akute Notlagen aufgrund von Krieg, Flucht oder Naturkatstrophen, ist nicht ausgeglichen. Er funktioniert auf Kosten der Bevölkerung hier und heute und auf Kosten der nächsten Generationen, denen wir eine brüchige Substanz hinterlassen. 

Es zeigt sich, dass unsere Forderung nach einer Abschaffung der Schuldenbremse richtig ist. Aber der Bund könnte schon heute ohne die Bestimmungen der Schuldenbremse zu verletzen, Kredite bis zu 13 Mrd Euro aufnehmen. Damit könnten die unmittelbaren Bedarfe gedeckt werden. Als Tilgungsplan schlagen wir die zügige Einführung einer gerechten Besteuerung von hohen Einkommen und Vermögen vor. Damit könnten die langfristigen Bedarfe für öffentliche Investitionen für alle hier lebenden Menschen gesichert werden.

  • Wir brauchen daher einen demokratischen Aufbruch, der auf dem Ausbau des Gemeinsamen und Öffentlichen basiert und mit dem Mangel und der Konkurrenz bricht. Eine demokratische Gesellschaft kann auf einem sozialen Fundament von öffentlicher Daseinsvorsorge, öffentlicher Infrastruktur und sozialer Sicherheit gedeihen. Das ist der Boden, auf dem alle ohne Angst verschieden sein können.
  • Wir fordern daher umgehend ein Sofortprogramm in Höhe von 25 Mrd. Euro, um die Handlungsfähigkeit des Staates in seinen originären Aufgabenbereichen wieder herzustellen und einen generellen Ausbau sozialer Dienstleistungen und öffentlicher Infrastruktur für alle:
    - Soforthilfe an die Kommunen/Länder zur Erstversorgung der Flüchtlinge: 10 Mrd. Euro
    - Bundessonderprogramm sozialer Wohnungsbau mit 500.000 Wohnungen in Mischnutzung für Menschen mit geringen Einkommen und Flüchtlinge in Höhe von 8 Mrd. Euro
    - Ausbau arbeitsmarktpolitischer Qualifizierungs- und Integrationsprogramme; kostenfrei und qualitativ hochwertig
    - hochwertige freiwillige Sprachkurse
    - Bundeszuschuss für Bildung (Schulen, Kitas);
    - Ausbau sozialer Beratungsstellen (zusammen 7 Mrd. Euro)
  • Langfristig gilt es, die Kommunen nicht im Regen stehen zu lassen. Die Kosten für das gesamte Asylverfahren müssen vom Bund übernommen werden. Die Erstaufnahme Geflüchteter ist komplett vom Bund zu tragen. Das Geld dafür ist vorhanden. Auf mittlere Sicht muss der Bund die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen vollständig übernehmen. Der Bund muss zudem Bundesimmobilien unentgeltlich für Wohnzwecke zur Verfügung stellen. Um dies zu finanzieren, brauchen wir kurzfristig Kreditaufnahmen der öffentlichen Hand – derzeit verursachen Kreditaufnahmen so gut wie keine Zinsen. Diese Kredite müssen gedeckt werden durch eine verbesserte Einnahmesituation aus einer entsprechenden Besteuerung hoher Unternehmensgewinne, Vermögen und Einkommen. 
  • Die aktuelle Situation ist auch eine Chance für Gewerkschaften, Flüchtlingsinitiativen, Verbände und soziale Bewegungen, die soziale Frage gemeinsam wieder auf die Tagesordnung zu setzen – für ein Europa, das eine bessere Zukunft für alle ermöglicht. Wir werden uns an entsprechenden Bündnissen und Mobilisierungen beteiligen.
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