Antrag G.12: Ein radikaler Neustart für das Gesundheits- und Pflegesystem – Keine Profite mit unserer Gesundheit!
Beschluss des Parteivorstandes vom 3. Oktober 2020
Der Parteivorstand unterstützt den Antrag G.12 » Ein radikaler Neustart für das Gesundheits- und Pflegesystem – Keine Profite mit unserer Gesundheit! « zum Bundesparteitag in Erfurt mit anhängenden Änderungen. Die Änderungen sind mit den Antragstellenden bereits abgesprochen und werden übernommen.
Antragsteller/innen:
Achim Kessler(MdB, Frankfurt), Harald Weinberg (MdB, Ansbach-Weißenburg-Gunzenhausen), Kreisverband Fulda, Kreisverband Nürnberg-Fürth, Christine Buchholz (MdB, Offenbach), Petra Heimer (Landesvorsitzende Hessen, Rheingau-Taunus), Ates Gürpinar (Landessprecher Bayern, München), Ulrich Wilken (MdL, Frankfurt), Willi van Ooyen (Bundesausschuss, Frankfurt), Heidemarie Scheuch-Paschkewitz (MdL, Schwalm-Eder), Meryem Eker (Fulda), Julian Eder (Wetteraukreis), Robert Kohl (Groß-Gerau), Margarete Wiemer (Frankfurt), Nick Papak Amoozegar (Fulda), Uli Franke (Darmstadt), Marius J. Brey (Mittlere Oberpfalz), Mechthild Greim (Bundesausschuss, Nürnberg-Fürth), Stefan Jagel (München), Sharon Ibler (Linksjugend [‘solid] Bad Kreuznach), Jessica Richter (Linksjugend [‘solid] Bad Kreuznach), Marco Thielen (Bitburg-Prüm), Kevin Korn (Bad-Kreuznach), Marcio Demel (Zweibrücken), Stefan Heyde (Mainz/Mainz-Bingen), Marina Dietweger (München), Jakob Migenda (Darmstadt/ Linksjugend [‘solid]), Landesarbeitsgemeinschaft Pflege Rheinland-Pfalz
Ein radikaler Neustart für das Gesundheits- und Pflegesystem – Keine Profite mit unserer Gesundheit!
In der Corona-Pandemie zeigen sich wie unter einem Brennglas die Stärken, aber vor allem auch die gravierenden Schwächen unseres Gesundheitssystems. Ursache dafür sind zum einen politische Versäumnisse, wie die fehlenden Vorräte an Schutzmaterialien, Atemschutzmasken oder die fehlenden Bettenkapazitäten für den Pandemiefall. Vor allem aber werden die Folgen der neoliberalen Gesundheitspolitik mit aller Schärfe deutlich, die CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt haben. Durch Kommerzialisierung und Ökonomisierung werden immer weitere Teile des Gesundheitswesens privatisiert, der Marktlogik unterworfen und damit der Profitlogik ausgeliefert. Das Ergebnis sind Unter-, Über- und Fehlversorgung – eine Gesundheitspolitik gegen die Interessen von Beschäftigten und Patienten!
Folge dieser Privatisierungspolitik sind die katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Pflege, aber auch in vielen anderen Gesundheitsfachberufen. Profite von Krankenhaus- und Pflegekonzernen wurden zu Lasten der Patienten durch Arbeitsverdichtung und Lohndumping aus den Kolleginnen und Kollegen gepresst und als Dividenden an Aktionäre weitergereicht. Eine Folge ist der Pflegenotstand, den CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP verursacht haben und nun heuchlerisch beklagen. Doch der Pflegenotstand ist nicht vom Himmel gefallen, sondern durch politische Entscheidungen herbeigeführt. Die gute Nachricht ist, dass der Pflegenotstand folglich auch durch politische Entscheidungen beendet werden kann. Dafür kämpft DIE LINKE gemeinsam mit den Beschäftigten und ihrer Gewerkschaft in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Nach der Pandemie darf es kein ‚Weiter-So‘ in der Gesundheitspolitik geben. Die Pandemie hat gezeigt, dass wir einen radikalen Kurswechsel im Interesse der Patienten und der Beschäftigten in den Gesundheitsfachberufen brauchen!
Gerade diejenigen, die am härtesten dafür arbeiten, die Belastung durch die Pandemie abzufangen, sind in ihrem Arbeitsalltag oftmals besonders von einer Ansteckung mit dem Virus gefährdet. Im Gesundheitswesen sind das die – immer noch überwiegend weiblichen – Pflegekräfte in den Krankenhäusern und auch in der Altenpflege oder den Pflegediensten. Unter ihnen viele mit Migrationshintergrund in der 24-Stunden-Pflege. Vor allem sind es auch Angehörige, die unsichtbare Arbeit leisten und die Ausfälle unseres Versorgungssystems mit unbezahlter Arbeit kompensieren, Kinderbetreuung und Pflege- oder Sorgearbeit meist ohne Gegenleistung übernehmen. Ihre Arbeit wird von der Gesellschaft nicht angemessen wertgeschätzt.
Die Erkenntnis, dass all diese Tätigkeiten jedoch unverzichtbar und keinesfalls selbstverständlich sind, muss dazu führen, unser Gesundheitssystem zu überdenken und radikal zu verändern. Markt, Wettbewerb und Profitlogik stehen einer am tatsächlichen Bedarf und gemeinwohlorientierten Daseinsvorsorge entgegen. Damit muss Schluss sein! Die Corona-Krise hat offenbart, wie dringend wir einen Neustart, ein radikales Umdenken für unsere Gesundheitsversorgung brauchen!
DIE LINKE kämpft an vielen Orten, um jedes Krankenhaus, um jede Station und wir sagen mit unserer bundesweiten Kampagne: Menschen vor Profite – Pflegenotstand stoppen! Wir unterstützen die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst und die Forderung ihrer Gewerkschaften nach angemessenen Löhnen – 4,8 Prozent plus bzw. mindestens 150 Euro mehr sind nur gerecht! #jetztseidihrdran
Wir stehen am Beginn einer wirtschaftlichen Krise, die viele Menschen in ihrer materiellen Existenz bedroht. Wir wollen nicht zulassen, dass die Kosten der Pandemie-Bekämpfung durch steigende Krankenkassenbeiträge oder Leistungskürzungen auf Menschen mit mittleren und geringen Einkommen abgewälzt werden. Zur Finanzierung der Kosten der Pandemie brauchen wir eine Vermögensabgabe für Superreiche und endlich wieder eine Vermögenssteuer! Unsere Antwort auf soziale Ungleichheit ist, den Superreichen einen Teil ihres Reichtums zu nehmen zum Wohle aller!
Deshalb fordern wir:
- Die Kosten der Corona-Krise dürfen nicht auf gering- oder normalverdienende Lohnabhängige abgewälzt werden! Es darf weder Beitragssteigerungen noch Leistungskürzungen in der gesetzlichen Krankenversicherung geben. Wir fordern eine einmalige, progressive Vermögensabgabe in Höhe von zehn Prozent für das eine Prozent der vermögendsten Privatpersonen in Deutschland. Die Vermögensabgabe wird einmalig erhoben, auch wenn sie über die Zeit gestreckt werden kann. Diese Zeit muss genutzt werden, um die Wiedereinsetzung der Vermögenssteuer vorzubereiten.
- Unsere Gesundheitsversorgung muss flächendeckend solidarisch und bedarfsgerecht, im Sinne einer öffentlichen Daseinsvorsorge aufgestellt werden. Dazu muss auch die Eigentumsfrage gestellt werden. Die Krankenhäuser und die Pflegeheime müssen zurück in die öffentliche Hand. Wo Krankenhäuser privatisiert wurden, müssen sie rekommunalisiert werden.
- Keine Rendite mit Krankenhäusern in der Krise und darüber hinaus! Die Fallpauschalen, über die Krankenhäuser in einen Wettbewerb gezwungen werden, müssen sofort ausgesetzt und durch eine bedarfsorientierte und selbstkostendeckende Finanzierung ersetzt werden.
- Die ambulante Gesundheitsversorgung ist in den letzten Jahren durch die Aktivitäten von Finanzinvestoren massiv gefährdet. Sie wird, wenn nicht schnellstmöglich ein anderer Kurs eingeschlagen wird, bald durch einen tiefgreifenden Umbau zugunsten von Kapital- und Profitinteressen nicht mehr wiederzuerkennen sein. Wir wollen Kommunen unterstützen, eigene Polikliniken und Medizinische Versorgungszentren zu gründen. Dazu müssen sie durch eine geänderte Steuerpolitik des Bundes, zum Beispiel durch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, finanziell in die Lage versetzt werden. Durch integrierte Versorgungsformen wie Polikliniken in öffentlicher Hand und mobile Praxen können die Versorgung verbessert und die Arbeitsbedingungen für Ärztinnen und Ärzte attraktiver werden. Polikliniken sollten mittelfristig zum Zentrum der Gesundheitsversorgung werden.
- Es bedarf endlich einer dauerhaft besseren Vergütung und gesellschaftlichen Aufwertung aller Pflege- und Sorgearbeit. 500 Euro plus im Grundgehalt wäre auch ein Beitrag gegen den Fachkräftemangel. Das zentrale Instrument gegen den Pflegenotstand ist die Einführung einer gesetzlichen Personalbemessung für alle Berufsgruppen im Krankenhaus, die bedarfsgerecht, wissenschaftlich ermittelt und bindend ist: Bundesweit fehlen 100 000 Pflegekräfte in den Krankenhäusern. Die Strukturen unseres Gesundheitswesens müssen von Grund auf demokratisch und transparent umgestaltet werden. Das heißt auch: mehr Mitbestimmung für die Beschäftigten und Patienten und Patienten sowie Menschen mit Pflegebedarf. Gute Pflege ermöglichen: Die Sparpolitik der letzten Jahre muss beendet werden!
- Wir brauchen eine solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung: Alle sollen in die solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung einbezogen werden – auch Unternehmern, Beamten oder Politikern. Dabei sollen alle Einkommensarten berücksichtigt werden, auch Gewinne und Kapitalerträge, und zwar ohne Beitragsbemessungsgrenze. Die Beiträge für die übergroße Mehrheit der Versicherten wird sinken; für alle die weniger als 6.000 Euro verdienen. Die Versorgung wird für alle besser. Die private Krankenversicherung als Vollversicherung wird abgeschafft. Dadurch wird soziale und regionale Ungleichheit verringert und die Zwei-Klassen-Medizin endlich abgeschafft!
- Mit der Corona-Pandemie ist die Verwundbarkeit der Arzneimittelversorgung in Deutschland noch einmal besonders sichtbar geworden: Der großen Abhängigkeit von internationalen Lieferketten und der daraus resultierenden Gefahr von Lieferengpässen muss dringend begegnet werden. Die Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln sowie Impfstoffen ist profitorientierten Aktienkonzernen zu entziehen und in eine politische Verantwortung zu übertragen, damit sie allen Menschen zugutekommt.
- Die Lebensbedingungen müssen gesundheitsfördernd gestaltet werden. Eine aufsuchende und quartiers- oder regionsbezogene Gesundheitsförderung und Pflegeberatung müssen etabliert und gestärkt werden, um ein gesundheitsförderndes Umfeld zu gestalten. Dazu gehören Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie Stadtentwicklung und Raumplanung. Nur so können die Gesundheitschancen in allen Lebensbereichen verbessert werden, um den Teufelskreis zwischen Armut und Krankheit zu durchbrechen.