Finanzielle Handlungsfähigkeit von Ländern und Kommunen sichern
Beschluss des Parteivorstandes vom 20. Juni 2020
Die Corona-Krise führt bei Bund, Ländern und Kommunen zu massiven Steuerausfällen. Gegenüber der Steuerschätzung vom November 2019 verzeichnet der Bund bis 2024 Mindereinnahmen in Höhe von insgesamt 171,2 Mrd. Euro, die Ländern 95,3 Mrd. Euro und die Kommunen auf 45,6 Mrd. Euro. Zudem führen die Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft und zur Reduzierung von Einkommensverlusten zu erheblichen Mehrausgaben bei allen Gebietskörperschaften. Nach einer Untersuchung des Landesrechnungshofs Schleswig-Holstein (Stand Mai 2020) betragen – ohne Berücksichtigung des Konjunkturpaket des Bundes in Höhe von 130 Mrd. - die Corona-bedingten Mehrausgaben des Bundes 255,8 Mrd. Euro, die der Länder 85,9 Mrd. Euro. Schätzungen gehen von einer zusätzlichen Belastung der Kommunen durch Mehrausgaben in Höhe von 11,5 Mrd. aus.
Die Finanzierung muss überwiegend über eine immense Kreditaufnahme erfolgen. So wird der Bund im Jahr 2020 ca. 180 Mrd. Kredite aufnehmen müssen, die Länder haben bislang Nachtragshaushalte mit einem Kreditvolumen von ca. 92 Mrd. € beschlossen (Rechnungshof S-H). Da eine rasche wirtschaftliche Erholung angesichts der weltweiten Einbrüche und der damit einhergehenden Unterbrechung von internationalen Lieferketten nicht zu erwarten ist, wird das Kreditvolumen noch weiter erhöht werden müssen.
Die Schuldenbremse verpflichtet Bund und Länder, diese zusätzliche Kreditaufnahme mit Tilgungsplänen zu verbinden. Die geplante Tilgungsdauer beträgt in den meisten Ländern und beim Bund nicht mehr als 20 Jahre. Lediglich in Berlin (27 Jahre, abhängig von der Konjunkturlage), Brandenburg (30), Bremen (30) und Nordrhein-Westfalen (50) sind deutlich längere Tilgungsfristen vorgesehen. Hessen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg sehen eine Tilgung in zehn Jahren vor. In Sachsen und Sachsen-Anhalt sollen die Corona-bedingten Kredite in weniger als 10 Jahren getilgt sein. In Rheinland-Pfalz ist die Tilgungsdauer abhängig von der Konjunkturlage.
Die Krise wird über mehrere Jahre zu niedrigeren Steuereinnahmen führen, die rechtliche Verpflichtung zur Tilgung der Corona-bedingten Kredite bedeutet eine zusätzliche Belastung der Haushalte in Bund und Ländern. Damit droht, dass der Zwang zum Abbau der Staatsschulden durch die Schuldenbremse zur Kürzung in den Sozialhaushalten und bei dringend notwendigen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und/oder zur Erhöhung der Massensteuern führt und die Kosten der Krise auf die breite Masse der Bevölkerung abgewälzt werden. Eine derartige Entwicklung muss verhindert werden. DIE LINKE fordert deshalb eine einmalige Vermögensabgabe und die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer.
In der Krise zeigt sich die krisenverschärfende, wirtschaftlich und sozial kontraproduktive Wirkung der Schuldenbremse. DIE LINKE hat diese deshalb von Anbeginn an abgelehnt und fordert ihre Abschaffung. Sie unterstützt Initiativen wie in Hamburg zur Streichung der Schuldenbremse aus den Verfassungen.
Kurzfristig tritt DIE LINKE unter den Bedingungen der grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse dafür ein, die Tilgungspläne über einen möglichst langen Zeitraum zu strecken und die Möglichkeit, die Tilgung in konjunkturellen Schwächeperioden auszusetzen. Lange Tilgungszeiträume reduzieren den Konsolidierungsdruck auf die öffentlichen Haushalte.
Solange es keine Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Abschaffung der Schuldenbremse gibt, tritt DIE LINKE dafür ein, das sog. Artikel 115 Gesetz, mit dem die Umsetzung der Schuldenbremse einfachgesetzlich geregelt wird, zu reformieren:
- Die Zinslast des Staates muss – anders als gegenwärtig – in die Berechnung des strukturellen Saldos einbezogen werden. Damit würde die zulässige Grenze für ein strukturelles Defizit und die Möglichkeiten der Kreditfinanzierung staatlicher Ausgaben bei Bund und Ländern deutlich erhöht werden.
- Das gegenwärtig von der EU, dem Bund und den meisten Ländern zur Berechnung der sog. "konjunkturellen Komponente" angewandte "Produktionslückenverfahren" wirkt prozyklisch und verengt die finanziellen Handlungsspielräume weiter. Das im Herbst 2019 errechnete Produktionspotential sollte deshalb für die Dauer der Krise festgeschrieben werden, um eine Abwärtsrevision des Produktionspotentials mit der Folge eines erhöhten Konsolidierungsdrucks zu verhindern.
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie treffen die Kommunen besonders hart. Zu dem massiven Einbruch der Einnahmen insbesondere bei der Gewerbe- und der Einkommensteuer kommen drastisch reduzierte Gebühreneinnahmen und Verluste bei kommunalen Unternehmen hinzu. Gleichzeitig ist die Corona-Krise mit umfangreichen Mehrausgaben insbesondere im Gesundheits- und Sozialbereich verbunden. Zusammen wird hier von Mehrausgaben bzw. fehlenden Einnahmen von rund 1 Mrd. ausgegangen. Die Auswirkungen auf die Kommunalen Unternehmen ist noch überhaupt nicht abzuschätzen. Viele Kommunen haben Haushaltssperren erlassen und fahren Investitionsvorhaben zurück.
Das Konjunkturprogramm des Bundes enthält erste wichtige Maßnahmen zur Stützung der kommunalen Finanzen im Volumen von ca. 20 Mrd. Euro. Die Kompensation des Einbruchs bei den Gewerbesteuereinnahmen hälftig durch Bund und Ländern, eine dauerhafte Erhöhung des Bundesanteils an den Kosten der Unterkunft im Rahmen der Grundsicherung auf 75 Prozent, zusätzliche Mittel für den Ausbau von Kitas und Krippen, mehr Geld für personelle und technische Verbesserungen bei den Gesundheitsämtern, eine Aufstockung des Investitionsplans Sportstätten sind wichtige Maßnahmen zur Stützung der kommunalen Finanzen. Auch die einmalige Aufstockung der Regionalisierungsmittel für den Nahverkehr um 2,5 Mrd. werden teilweise den Kommunen zugutekommen. Angesichts eines Rückgangs der Fahrgastzahlen bei den ÖPNV-Unternehmen zwischen 60 und 90 Prozent sind die Einnahmeausfälle deutlich höher. Aller Voraussicht nach werden auch im nächsten Jahr das Vorkrisenniveau der Einnahmen nicht erreicht werden. Notwendig ist deshalb eine vollständige Kompensation der Einnahmeausfälle.
Angesichts des kommunalen Investitionsstaus von ca. 140 Mrd. €, der schon vor der Krise unzureichenden finanziellen Ausstattung der kommunalen Haushalte sind jedoch weitergehende Maßnahmen notwendig. Rund 25 Prozent der Bevölkerung leben aktuell in einer Kommune, die dauerhaft in Haushaltssicherungsmaßnahmen steckt Das Volumen der Kassenkredite beträgt gegenwärtig mehr als 35 Mrd. Euro. Diese sind eigentlich zur kurzfristigen Liquiditätssicherung gedacht, sind aber für viele Kommunen zum dauerhaften Finanzierungsinstrument für Pflichtaufgaben geworden. Freiwillige Leistungen müssen dabei oft auf der Strecke bleiben. Gleichzeitig klafft die Schere zwischen armen und reichen Kommunen immer weiter auseinander. DIE LINKE fordert deshalb einen Altschuldenfonds zum Abbau der kommunalen Altschulden. Im Rahmen der Förderprogramme des Bundes soll außerdem auch die Möglichkeit zur Finanzierung von Personalkosten zu ihrer Umsetzung geschaffen sowie eine Kombination verschiedener Förderprogramme des Bundes möglich gemacht werden.
Die Mittelzuweisungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs durch die Länder müssen erhöht werden, damit die Kommunen nicht zur Aufnahme teurer Kassenkredite gezwungen sind. Das kommunale Haushaltsrechts muss für die Krisenzeit so verändert werden, dass freiwillige Leistungen wie Pflichtausgaben behandelt werden können und Haushaltssperren aufgehoben werden.
Die Corona-Krise hat die Bedeutung der öffentlichen Daseinsvorsorge deutlich gemacht. Wir schlagen deshalb die Gründung einer Anstalt öffentlichen Rechts zur Beratung und Unterstützung von Kommunen bei Rekommunalisierungsvorhaben im Gesundheitsbereich und anderen öffentlichen Infrastrukturen und eine finanzielle Unterstützung des Bundes für Rekommunalisierungsvorhaben durch zinslose Darlehen bzw. Zuschüsse.