Frauen in Bewegung – grenzenlos feministisch
Beschluss des Parteivorstandes vom 30. Juni 2018
Die Frauenbewegung hat viel erreicht im Kampf für gleiche Freiheiten und soziale Rechte. 2018 feiern wir 100 Jahre Frauenwahlrecht und 50 Jahre 1968-Proteste. Feminismus hat sich Gehör verschafft. Aber in einer Situation, geprägt vom neoliberalen Umbau des Sozialstaates und dem Erstarken rechter Parteien und Bewegungen, bleibt viel zu tun. Wir müssen unseren Kampf fortsetzen, ausbauen und gar Errungenschaften neu verteidigen. Was gibt es zu feiern, wenn 100 Jahre nach Durchsetzung des Frauenwahlrechts die Frauenquote im Bundestag so niedrig ist wie vor 20 Jahren? AfD und Konservative bilden die Mehrheit im deutschen Bundestag. Sie vertreten gemeinsam ein veraltetes Frauen- und Familienbild, laut dem die Frauen nicht selbstbestimmt über ihren Körper und ihre Lebensgestaltung entscheiden können. Der Abbau öffentlicher Infrastruktur drängt viele ins Private zurück.
Mit der Neuauflage der CDU/CSU/SPD-Koalition wird es kaum Fortschritt für Geschlechtergerechtigkeit geben. Der Koalitionsvertrag ist gleichstellungs- und frauenpolitisch weitgehend ambitionslos. Bei frauenpolitischen Bemühungen werden wirtschaftliche Interessen und Verbesserungen für wenige Frauen in den Vordergrund gestellt, von "wollen, prüfen, evaluieren" ist viel die Rede.
Auf der anderen Seite gibt es viel Bewegung in der Gesellschaft in Deutschland und darüber hinaus: Der kraftvolle Kampf auf der Straße und in den Parlamenten für die Abschaffung des §219a und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, die Initiative für ein Paritätsgesetz auf Bundesebene, die Frauenkampftagsdemos, zu denen Zehntausende überall in Deutschland auf der Straße waren, die verschiedenen Streiks für gute Arbeitsbedingungen und menschenwürdige Pflege in den Krankenhäusern, die Frauendemonstrationen und -streiks in Spanien und Polen, die Womens Marches weltweit sowie die Debatten um #aufschrei und #metoo sind nur einige Beispiele dafür, dass feministische Kämpfe mehr in den Fokus gesellschaftlicher Auseinandersetzungen gelangen.
Für die Aufwertung von sogenannten frauentypischen Berufen und mehr Zeit zum Leben
In den vergangenen Jahren haben zunehmend Lohnarbeitskämpfe in Bereichen stattgefunden, die lange als nicht organisierbar galten. Es sind Bereiche, in denen besonders viele Frauen arbeiten: Krankenpflege, Lehre und Erziehung sowie Einzelhandel. Die Löhne sind in den meisten dieser Bereiche sehr niedrig. Dabei geht es bei der Pflege und in der Erziehung um die wichtige Arbeit am und mit dem Menschen. Als LINKE Frauen sind wir solidarisch mit diesen Kämpfen und stehen an der Seite der Streikenden!
Die Arbeitskämpfe in diesen Branchen sind jedoch nicht allein Lohnkämpfe, sondern stellen auch die Systemfrage. Welche Folgen hat es, wenn alle Tätigkeiten dem kapitalistischen Profitstreben untergeordnet werden? Was passiert mit unserer Gesellschaft, wenn die Sorge umeinander abgewertet und an Frauen delegiert ist? Kurzum: Wie wollen wir leben?
Frauen weltweit sind von den Privatisierungen öffentlicher Daseinsvorsorge in besonderer Weise betroffen. Wohnen, Gesundheitsvorsorge, Wasser, Energie und Bildung werden zunehmend zu Luxusgütern. DIE LINKE streitet gegen eine Politik, die die Mehrheit der Menschen in die Verarmung treibt. Der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern, der Gender-Pay-Gap, beträgt in Deutschland 21 Prozent - und diese Zahl bewegt sich seit Jahren kaum nach unten. Frauen verdienen durchschnittlich nicht nur weniger als ihre männlichen Kollegen, sie arbeiten auch häufiger in Teilzeitjobs als Männer oder gehen keiner geregelten Lohnarbeit nach. Das führt viele Frauen am Ende ihres Erwerbslebens direkt in die Altersarmut. Studien gehen bereits heute davon aus, dass mehr als jede vierte Frau im Alter unter der Armutsgrenze leben wird. Erwerbslosigkeit, geringfügige Beschäftigung, Niedriglöhne und das Hartz IV-Sanktionssystem sind Ursachen für Armut und soziale Ausgrenzung. Das Armutsrisiko von Alleinerziehenden liegt bei fast 50 Prozent. Auch hier sind die meisten von ihnen Frauen. Die Schere zwischen Armut und Reichtum geht immer weiter auseinander und trifft Frauen in besonderem Maße.
Deshalb fordern wir die Schließung des Gender-Pay-Gap nach oben. Wir kämpfen für eine sanktionsfreie Mindestsicherung sowie Mindestrente von 1.050 Euro und die Aufwertung von Pflege- und Erziehungsjobs. Da es nicht nur an Lohn, sondern auch an Personal mangelt, fordern wir im Rahmen unserer Kampagne, neben einem Pflegemindestlohn von 14 Euro, die Einstellung von 100.000 Pflegekräften. Arbeit ist nicht weniger wert, wenn sie von Frauen geleistet wird.
Doch Frauen arbeiten nicht nur häufiger in schlecht bezahlten Jobs, sie leisten auch den Großteil der nicht entlohnten Sorge- und Pflegearbeit. Weltweit übertrifft die Zahl unbezahlten Arbeitsstunden in der Reproduktion die der bezahlten Arbeitsstunden in der Produktion bei weitem (Gender Care Gap). Dazu gehören Kindererziehung, Sorge von pflegebedürftigen Angehörigen oder die Arbeit im Haushalt. Gleichzeitig entsteht eine globale Neuverteilung von Sorgearbeit anhand transnationaler Sorgeketten: Wer es sich leisten kann, entkommt den Engpässen des deutschen Pflegesystems, indem die Sorgearbeit an Migrantinnen weitergegeben wird. Oft ohne offiziellen Aufenthaltsstatus und ohne Rechte entsteht mit ihnen eine neue Generation von "Haussklavinnen". Dass Sorgearbeiten von ärmeren in wohlhabendere Haushalte und von armen in reiche Länder verschoben werden, ist nichts Neues. So bleiben sowohl die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung als auch die Geringbewertung von Sorgearbeit intakt. Dabei würde eine Erwerbsarbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich für alle zu weniger Stress im Job und mehr Zeit für Sorgearbeiten führen. Vor wenigen Wochen führten die Beschäftigten in der Metallbranche einen Arbeitskampf um Arbeitszeitverkürzung. Selbst in einer Branche, in der mehrheitlich Männer arbeiten, werden die Forderungen nach mehr Zeit für Freunde und Familie lauter. Unsere Partei, DIE LINKE, fordert eine Lohnarbeitszeit, die um die 30-Stunden-Woche kreist, sowie die Vergabe unbefristeter Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse an Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, um einerseits migrantische Hausarbeiterinnen zu stärken und andererseits mehr Zeit für unersetzliche Aufgaben außerhalb der Lohnarbeit zu haben. Als Frauen wissen wir, dass sich das Leben nicht allein um den Erwerb dreht. Damit wirklich alle Menschen Zeit haben für Kindererziehung, für die Sorge um Familienangehörige oder Freunde, für kreatives Schaffen, persönliche Weiterbildung, soziales oder politisches Engagement, für Feste und für Muße..., damit das möglich ist, muss perspektivisch die 20-Stunden-Woche eingeführt werden.
Für eine friedliche Gesellschaft
Weltweit gefährdet eine neue Runde des Wettrüstens Frieden und Sicherheit. Auch die neue Bundesregierung setzt auf Krieg und ist durch den Einsatz deutscher Panzer Teil von Zerstörung und Krieg, wie z.B. in Afrin. Hier führt das türkische Militär einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg u.a. mit deutschen Leopard-Panzern und weiteren Waffen aus deutscher Produktion.
In Afrin organisierten Frauen sich in allen Bereichen autonom, alle Leitungsstrukturen werden immer durch das Prinzip der Doppelspitze von einem Mann und einer Frau besetzt. Frauen haben in Nordsyrien eine nachhaltige Arbeit für den Frieden in der Gesellschaft geleistet. Sie haben Versorgungssysteme für Geflüchtete und von Armut betroffene Familien eingerichtet, ein Bildungssystem, eine Gesundheitsversorgung und zahlreiche Frauenkooperativen aufgebaut. All dies wird mit dem Angriff der Türkei auf Nordsyrien wieder zerstört werden.
Viele Frauen sind starke Kämpferinnen für den Frieden und setzen sich kompromisslos und unmissverständlich gegen Militarismus und Krieg ein. Kriegseinsätze mit der notwendigen Durchsetzung von Frauenrechten zu begründen, lehnen wir ebenso strikt ab wie Vergewaltigung und Versklavung von Frauen als Mittel der Kriegsführung.
Die Bundesregierung unterstützt die Forderung nach Erhöhung der Rüstungsausgaben auf zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung (BIP), wie von NATO und EU vorangetrieben. Das sind mindestens weitere 30 Milliarden Euro, die im zivilen Bereich fehlen, so bei Schulen und Kitas, sozialem Wohnungsbau, Krankenhäusern, öffentlichem Nahverkehr, kommunaler Infrastruktur, Alterssicherung, ökologischem Umbau, Klimagerechtigkeit und internationaler Hilfe zur Selbsthilfe.
Wir rufen unsere Mitglieder sowie Sympathisantinnen und Sympathisanten auf, sich im Vorfeld des im Juli in Brüssel stattfindenden NATO-Gipfels in Veranstaltungen kritisch, feministisch mit der NATO-Politik und Alternativen dazu auseinanderzusetzen und zu den Anti-NATO-Aktionen - Demo und Gegengipfel am 7. und 8. Juli 2018 - nach Brüssel zu mobilisieren.
Für eine Gesellschaft ohne Sexismus und Rassismus
Faschisten und Ultra-Rechte sind auf dem Vormarsch, hetzen Menschen gegeneinander auf und spalten so die Gesellschaft. Sie nutzen die Ängste vieler Menschen, um Hass und Aggression gegen Geflüchtete, Muslime und Migrant*innen zu lenken. Frauenrechte werden für rassistische Hetze und Ausgrenzung instrumentalisiert. Für DIE LINKE ist klar: Feminismus geht nur antirassistisch und darf nie auf Kosten von Ausgegrenzten stattfinden. Feminismus heißt, Sexismus offen zu benennen und notwendige Debatten darüber zu führen.
Sexismus und Rassismus sind als Denkmuster tief in unserer Gesellschaft verankert und kooperieren miteinander. Sexismus wird von Rechten sogar als Wahlkampfmittel genutzt, indem sie mit "Bikini statt Burka" ihren Blick auf den weiblichen Körper als politischem Kampfplatz dokumentieren. Diese vermeintlichen Kämpfe für Frauenrechte werden als Vorwand genutzt, um zu hetzen und gesellschaftliche Stimmung zu erzeugen.
In der rechtspopulistischen Erzählung wird die deutsche Frau zum zu beschützenden Wesen erklärt und in eine entmündigte Opferrolle gedrängt. Dem gegenüber werden Menschen mit Migrationshintergrund zu Tätern stigmatisiert, bis hin zur entmenschlichenden Darstellung als triebgesteuertes Wesen. Dieser vereinfachte Diskurs ist falsch und gefährlich. Falsch, weil die meisten Frauen Gewalt im privaten Raum und von ihnen bekannten Menschen erfahren. Gefährlich, weil es Frauen mit Migrationshintergrund vom Diskurs ausschließt und männliche Asylsuchende zum Feindbild erklärt. Das Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit ist universell und endet nicht an Grenzen eines Staates oder im Kopf. Aufmärschen der Rechten, die Frauenrechte in jegliche Richtung instrumentalisieren, stellen wir uns entschieden entgegen.
Das Menschenrecht auf freie Religionsausübung schließt das Recht auf öffentliches Bekenntnis zu einer Religion ein. DIE LINKE spricht sich gegen das Verbot religiös motivierter Bekleidung aus und lehnt eine Einschränkung von Beschäftigtenrechten auf dieser Grundlage ab.
Frauen müssen Zugang zu gesellschaftlichen Positionen haben, ohne dass ihnen bestimmte Lebensweisen aufgedrängt werden. Sowohl das Verbot des Kopftuchs als auch der Zwang dazu stellen eine Einschränkung der Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen dar. Es gilt, Frauen in ihrer persönlichen Entscheidung, wie sie sich kleiden, nicht zu bevormunden und keinen Druck auf sie auszuüben - weder in die eine noch die andere Richtung.
Für sexuelle Selbstbestimmung und Vielfalt
Mit dem Erstarken extrem rechter Akteure in Europa geraten auch die Vielfalt von Lebensentwürfen und damit einhergehend sexuelle Selbstbestimmung sowie sexuelle und reproduktive Rechte unter Druck. Während das traditionelle Familienbild mit klarer geschlechtsspezifischer Rollenaufteilung und - damit verbunden - Zementierung ökonomischer Abhängigkeit als Norm hochgehalten wird, werden alle, die diesem Ideal nicht entsprechen, abgewertet und als Feinde der Familie bekämpft.
In der rechten Familienideologie bildet sich eine gefährliche Allianz aus christlichen Fundamentalisten und vielfältigen Schattierungen der Neuen (und alten) Rechten. Auch in Deutschland ist es nicht nur die AfD, die reproduktive Rechte und die Selbstbestimmung von Frauen einschränken möchte. Es ist unübersehbar, dass auch die konservativen Parteien auf der rechten Welle surfen: Bestes Beispiel dafür ist der neue Gesundheitsminister Jens Spahn, der Frauen unterstellt, sie würden die "Pille danach" wie Smarties nehmen, wenn sie frei zugänglich wäre.
Durch die CDU/CSU/SPD-Koalition hat sich die SPD zum Steigbügelhalter der reaktionären und neoliberalen Politik gemacht, mit erheblichen Folgen besonders für Frauen. Das bewies zuletzt der Rückzug der SPD beim §219a zugunsten des Koalitionsfriedens.
In vielen Ländern erleben wir Großdemonstrationen unter dem Titel "Demo für alle" als Reaktion auf Debatten zur gleichgeschlechtlichen Ehe und auf die geplante stärkere Förderung der Akzeptanz gegenüber homo- und transsexueller Identität in der Schule.
Bei den "Märschen für das Leben" steht die vollständige Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs im Zentrum. Die Anmaßung auf Kontrolle über den Körper von Frauen, ihre Sexualität und ihr Leben, ist Teil der ökonomischen, politischen und Krise der Demokratie und der patriarchalen und neoliberalen Offensive. Es ist ermutigend, dass sich in vielen Ländern eine öffentlich sichtbare Gegenwehr organisiert, sich Bündnisse gründen und vielfältige Aktionen auf der Straße stattfinden. DIE LINKE ist Teil dieses Widerstands. Wir engagieren wir uns für die soziale Absicherung vielfältiger Lebensentwürfe, Entscheidungsfreiheit und eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Wir fordern die sofortige Streichung des Paragrafen 219a StGB, der Ärztinnen und Ärzten "Werbung" für Abtreibung verbietet. Das Relikt aus Zeiten des Nationalsozialismus nimmt Gesundheitsrisiken bewusst in Kauf, verhindert das Recht auf Informationsfreiheit von Frauen, schränkt ihre Wahlmöglichkeiten enorm ein und steht der Selbstbestimmung von Frauen diametral entgegen. DIE LINKE bekräftigt darüber hinaus die Forderung nach Streichung des Strafrechtsparagrafen 218. DIE LINKE unterstützt das Bündnis für Sexuelle Selbstbestimmung in Deutschland und weitere ProChoice-Initiativen bundesweit und darüber hinaus Wir rufen unsere Mitglieder, Parteistrukturen und Sympathisant*innen auf, sich an den Gegenprotesten zum "Marsch für das Leben" am 22.9.2018 in Berlin zu beteiligen und auch regionale Aufmärsche christlicher Fundamentalisten und rechter Gruppierungen in gemeinsamen Bündnissen mit anderen Organisationen zu stoppen"
Frauen sollen und können selbst über ihr Leben entscheiden. Wir stehen gleichermaßen an der Seite von Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft beenden wollen, wie von Frauen, die Kinder bekommen und unter guten Bedingungen großziehen möchten. Deshalb setzen wir uns unter anderem für die Verbesserung der Situation der Hebammen und für eine Kindergrundsicherung von 573 Euro pro Monat für alle Kinder ein.
DIE LINKE streitet für ein besseres Leben für alle Menschen, für eine solidarische, vielfältige und friedliche Gesellschaft, die Gleichberechtigung und Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen ermöglicht. Wir tun das im Parlament, auf der Straße und in den Betrieben, vernetzt mit feministischen Bewegungen und Initiativen.